Der Feind in meinem Körper

Oktober 27, 2007

„Natürlich dürfen Sie nach Hause. Ich werde doch einer Schwerstkranken nicht den Wunsch verweigern, Weihnachten bei der Familie zu sein.“

Endlich habe ich der Stationsärztin diese Zusage abgerungen. Ich darf nach Hause. Nach Wochen und Wochen ist es absehbar, dass ich nach Hause kann. Ich kann zwar nicht  gehen, aber ich will raus. Den Samstag vor Heiligabend 2006 darf ich nach Hause. Nach 6 Wochen Krankenhausaufenthalt. Oh Mensch, ist da schön! Sie werden mich abholen, meine Familie wird mich abholen und nach Hause bringen. In unser neues Zuhause, dort, wo es nur 4 Stufen gibt, um ins Haus zu kommen! Samstag darf ich nach Hause!!

Ich rufe an, ich sage Bescheid: „ Holt mich hier raus!“

Die Tür geht auf, der Chefarzt kommt. „Sie müssen die Chemotherapie noch vor Weihnachten beginnen, sonst ist es zu spät.“ Ich bin trotzig, ich will nicht, ich versuche, zu handeln und rede auf ihn ein. Im gegenseitigen Einvernehmen darf ich Samstag gehen, und muss dienstagmorgens wieder da sein. Zur Chemotherapie. Ok… ich werde kommen…

 

Ist nicht so leicht, wie ich gedacht habe, diese vier Stufen hoch zu kommen…Zwei Männer helfen mir… mein Bein ist so schwer, als hätte ich Tonnen von Zement im Oberschenkel.

Zu Hause… endlich zu Hause…

Mein Kind sitzt neben mir… so alleine…

 

Panik, jetzt habe ich Panik, jetzt habe ich Angst, zu sterben. Mein Herz rast, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Um Himmels Willen, wo ist er, mein Indianer. Steht sein Angebot noch? Du kannst jederzeit kommen, du kannst aber auch jederzeit gehen. .?

 

„Weißt, du, was ich habe?“ frage ich ihn. Verzweifelt sieht er mich an: „Nein, “ sagt er, „Sag bitte, dass du nicht Krebs hast.“

Ich nehme ihn in die Arme. Doch, ich habe Krebs, er ist nicht mehr heilbar. Aber stoppen können sie ihn. Ich bin stark, ich schaffe das. Hab keine Angst, sieh mich an. Zögernd blickt er hoch. Ich hab dich lieb, ich lass dich nicht alleine. Er schmiegt sich an mich. Er ist todtraurig. Diese Nacht schläft er bei mir.  Ein Kissen zwischen uns verhindert, dass er gegen mein operiertes Bein kommt. Mein Kind liegt in meinen Armen. Er träumt schwer. Das Bein ist egal, ich ziehe ihn an mich und umarme ihn fest und sicher. Nein, dich werde ich nicht alleine lassen, mein Goldschatz, niemals…

Dienstags bin ich wieder im Krankenhaus… um Strecken gesünder, sie staunen, als sie mich sehen. Ich habe mir die Energie und die Kraft von zu Hause geholt. Es geht mir gut. Und die erste Chemo-… „Ich würde am liebsten weglaufen“, sage ich dem Arzt, als er mit diesem widerlichen rosa Gebräu ankommt. Anzüglich schaut er auf mein lädiertes Bein. „Na, das machen Sie mir mal vor…“ Er lächelt mich an. Touchez… ich muss lachen. „ Is ja gut, is ja gut.. na, denne…“  Sie fließt in mich hinein, diese giftige Brühe… tu mir nix, ich tu dir auch nix…Ich warte… worauf? Auf Schmerzen, Übelkeit oder irgendeine andere Nebenwirkung. Keine Ahnung, welche.. ich warte… nix…

Mittwoch vor Heilig Abend werde ich entlassen, gleich nach der Chemo-. Es geht mir gut. Ein bisschen flau ist mir schon, ich warte noch immer auf Nebenwirkungen. Mein Sohn schmiegt sich im Schlaf an mich. Immer enger, als ob wir eins werden sollten.

 

Am nächsten morgen ist mir speiübel. Ich muss spucken. Da ist sie , die lähmende Verzweiflung meiner Familie, die Angst, dass es schlimm wird, und da überkommt mich eine maßlose Wut, Wut auf meine Schwäche, Wut auf diese Krankheit, Wut auf meinen unzulänglichen Körper, Wut auf alles, was mich krank gemacht hat, so ungeheuerlich ist diese Wut, dass die Übelkeit verschwindet. Und in Gedanken lasse ich sie alle sterben, die  mir das Leben zur Hölle gemacht haben, lasse sie an meinem Krebs sterben. Ich stabilisiere mich…. Von da ab wird mir nie mehr übel werden. Eine Woche Durchfall nach dem Chemowechsel, ja, aber das ist nix, das kenn ich eh schon von meiner chronischen Darmentzündung. Ich öffne mich, und nehme die Chemo- als Lebensretter an. Und sie dankt es mir. Und tötet und tötet… alles, was mich töten will zerstört sie, gnadenlos, und doch so voller Erbarmen mir gegenüber. Alles? Nicht ganz.. ist einfach zu weit fortgeschritten… aber unglaublich weit… so weit, dass alle glauben, dass ich es schaffen kann, dass ich noch lange leben kann… Mein Indianer… er ist bei mir… immer, immer, immer…

 

Fast ein Jahr ist vergangen, seit ich eingeliefert wurde. Jetzt sind sie vorbei, die Anschlussbehandlungen, die letzte Bestrahlung.

 

Am letzen Tag, da geben sie mir die Röntgenaufnahmen. Zugeklebt. Geben Sie sie ab.. beim Hausarzt, in der Onkologie, geben Sie sie ab… schauen Sie sich die Aufnahmen nicht an!!!!

Manchmal wünschte ich mir doch ein bisschen weniger Neugierde…

 

Letzte Woche, erst letzte Woche sagt mir mein Sohn, dass es keine Angst mehr hat. Er glaubt fest daran, dass ich – wie drückt er es aus? – unzerstörbar bin…

Wie sehr hatte er gelitten, als ich mit dem Rettungswagen weggebracht wurde… wie er sehen musste, als mir das Blut zwischen den Beinen herunter lief, wie mir die Haare ausfielen, wie oft hatte er sich in seinem Zimmer verkrochen, um das alles nicht sehen zu müssen…

 

Ich öffne den Umschlag und nehme die Aufnahmen… Stück für Stück… jetzt weiß ich ja, wie sie aussehen, die Metastasen, ich habe reichlich gesehen…

Dachte ich…

 

Sie hat wahrlich ganze Arbeit geleistet, diese Chemo-, und mein Körper hat es dankbar angenommen…

 

Ich werde zum Hausarzt gehen, und werde mir erzählen lassen, was ich jetzt schon weiß, was ich aber nochmals von ihm hören will… ich weiß nicht, warum, ich will es einfach. Mein Körper war verseucht von Metastasen. Sie waren an den Rippen, an den Armen,  an den Beine, sogar in den Füssen waren sie… einfach überall. Jetzt verstehe ich…

Jetzt kommt die Panik, und ich hoffe, dass ich sie überwinden kann.

 

Ende November werde ich wieder untersucht. Ab jetzt regelmäßig.

Und ich hoffe, ich werde keine Angst haben..

 

 

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